Das Richtfest an der Minnewitstraße
Ein traditionsreiches Fest im Wandel
Tradition versus Marketingstrategie
Einleitung: Ein alter Brauch in neuer Form
Im Oktober 2025 wurde an der Minnewitstraße in München-Fasangarten das Richtfest für 62 neue Wohnungen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) gefeiert. Die "Hebweih" – regional bekannt – ist einer der ältesten Baubräuche Deutschlands und markiert traditionell den Abschluss der Rohbauarbeiten. Doch dieses Mal war es weniger eine Feier der Gemeinschaft als vielmehr eine Präsentation der innovativen seriellen Bauweise vor Politikern und Presse.
Das klassische Richtfest: Tradition und Gemeinschaft
So war es früher:
Das traditionelle Richtfest galt als Dankesfest für die Handwerker und als Zeichen der Verbundenheit mit der betroffenen Nachbarschaft. Der Bauherr lud alle ein, die am Bau beteiligt waren oder mitgelebt hatten – Zimmerleute, Familie, Nachbarn. Im Rohbau folgten die Rituale: Richtspruch, Richtkranz oder Richtbaum am Dachfirst, einfacher Imbiss und Getränke. Es war eine fröhliche, ungezwungene Feier, bei der für wenige Stunden Hierarchien aufgelöst wurden. Das Fest sollte primär den Handwerkern und der Gemeinschaft zugute kommen.
Das Richtfest an der Minnewitstraße: Vom Dankesfest zum Schautermin
Was sich unterschied:
Beim aktuellen Richtfest waren die Hauptgäste Vertreter aus Politik, Verwaltung und Presse. Im Mittelpunkt stand nicht die Würdigung der Handwerker oder die Verbundenheit mit der Nachbarschaft, sondern die Präsentation der seriellen Bauweise – eine moderne Bauform, die schneller, kostengünstiger und leiser ist.
Auffallend abwesend:
In den Medienberichten und offenbar auch bei der Veranstaltung selbst fanden sich kaum Erwähnungen der Handwerker und keine Hinweise auf eine Beteiligung der Nachbarn oder Anwohner. Die direkt betroffene Nachbarschaft – diejenigen, die monatelang mit der Baustelle leben – wurden auch nirgends im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten erwähnt.
Das Richtfest wurde zum Marketingevent für ein Megaprojekt – ein kontrolliertes Ereignis statt offener Partizipation.
Das stille Zeichen: Was der Wandel bedeutet
Das Fest verlief ruhig und geordnet, ohne große Öffentlichkeit, ohne Lärm, ohne Proteste oder unbequeme Fragen.
Das ist bezeichnend: Ein alter Brauch verliert seine ursprüngliche Bedeutung – einen Moment der Verständigung zwischen Bauherrn, Handwerkern und Gemeinschaft zu schaffen.
Die fehlenden Nachbarn sind nicht dramatisch, aber symptomatisch. Sie zeigen, wie sich große Bauprojekte heute von Planungs- und Kommunikationsstrategien prägen lassen – und wie wenig Raum noch für echte Partizipation und spontane Begegnung bleibt. Moderne Projekte verstehen ihre Umgebung manchmal als Stakeholder, nicht als Gemeinschaft.
✎ 2025-11-01 ludwich

